Auslandserfahrung in der Energiewirtschaft

Studiensemester in Namibia - ein Erfahrungsbericht

Sonntag, 5. Juli 2014. Ein guter Freund und Kommilitone (und Mitbewohner für die kommenden Monate) und ich stehen im Hosea Kutako Airport bei Windhoek in der lange Schlange vor den Schaltern der namibischen Einwanderungsbehörde. Mein Herz pocht mit jedem Schritt schneller. Da unsere Anträge für Studien-Visa nicht rechtzeitig durch das „Ministry of Home Affairs & Immigration“ bearbeitet wurden, hat man uns geraten als Touristen einzureisen. 90 Tage Aufenthalt haben wir angegeben, das Maximum, welches für EU-Bürger ohne zusätzliche Anträge möglich ist. Durch mein freundlichstes Lächeln versuche ich einen guten ersten Eindruck bei der finster dreinblickenden Beamtin zu machen. Vielleicht liegt es daran, dass mein Charme nach über 23 Stunden in Flugzeugen oder Flughäfen nicht mehr vollends vorhanden ist, jedenfalls beschränkt sich die Antwort auf „Where’s your return ticket?“. Was wir bei der Recherche übersehen haben: Touristen dürfen nur mit Rückflugticket einreisen. Mein Rückflug wird jedoch erst in 165 Tagen starten. Spontan entscheide ich mich, reinen Tisch zu machen und erkläre die Umstände. Die anschließende Diskussion dauert solange, dass der Fahrer, der Partnerhochschule, bereits umgekehrt ist. Letztendlich wird eine Aufenthaltserlaubnis für zehn Tage erteilt und nach einiger Zeit taucht ein weiterer Fahrer auf, der uns mit durch die Hügellandschaft des Eros-Gebirge nach Windhoek nimmt.


Neun Tage später erfolgt die Erlösung durch die beiden hilfsbereiten Mitarbeiterinnen des International Office, als sie uns die Pässe mit den bis Jahresende gültigen Visa überreichen. In der Zwischenzeit hat sich ein reges Zusammenleben mit unseren netten Nachbarn aus Namibia, Botswana, Angola und Finnland entwickelt. Die geräumige, mit Kühlschrank und eigenem Bad ausgestattete Einzimmerwohnung ist ebenfalls bezogen und, nachdem die Fenster mit allerhand Kleidung und Pappe isoliert sind, auch in den kalten Julinächten warm. Da das Gebäude noch erweitert wird, beendet morgens statt dem Klingeln des Weckers das Bohren eines (standardmäßig ohne Schlummerfunktion betriebenen) Presslufthammers den Schönheitsschlaf. Bemerkenswert daran ist, dass die gesamte Stromversorgung des Gebäudes über ein Verlängerungskabel aus dem daneben befindlichen Haus der Vermieterin erfolgt - ich beginne an den erlernten Grundlagen der Elektrotechnik zu Zweifeln.


Die Polytechnic of Namibia, Partnerhochschule der h_da, liegt nur zehn Minuten Fußweg entfernt. Am Eingangstor des komplett umzäunten Campus zeigen wir dem Security Mann unsere Studienausweise und können uns nun entspannt bewegen. Es gibt einen Main Campus und einen kleinen Campus mit Bibliothek und verschiedenen Lehrgebäuden, unter anderem das Engineering’s Building in dem ich Vorlesungen hatte. Die Gebäude sind teils sehr modern, teilweise aber auch etwas heruntergekommen. Das Gelände ist insgesamt sehr schön. Studierende sitzen hier auf den Treppen und unterhalten sich gut gelaunt oder erkämpfen sich am Kiosk einen der begehrten Snacks. Wir werden schnell in die Kursgemeinschaft aufgenommen und auch zu den privaten Events eingeladen, sodass wir uns sehr willkommen fühlten.

Dieses „Goldener Käfig“-Phänomen ist typisch für Windhoek und Namibia. Das Leben spielt sich hinter hohen Mauern mit Elektrozäunen ab, viele Häuser haben zusätzlich Alarmanlagen und Videoüberwachung. Vor Einkaufszentren und Supermärkten stehen oft Sicherheitskräfte. Was für Sicherheit sorgen soll, erzeugt eher ein mulmiges Gefühl. Dazu tragen auch die zahlreichen Geschichten von Überfällen und die vielen Warnungen bei, die von allen Seiten ausgesprochen werden. Nach einer gewissen Weile kommt aber die Entspannung. Wenn man ein paar Grundregeln (lose Geldscheine statt Portemonnaie, Billiggerät statt Smartphone, Plastiktüten statt Rucksack, Zusammen bewegen statt Solo) verinnerlicht hat, kann man sich gelassen durch die Straßen bewegen. Und falls man sich unsicher fühlt, kann man eines der günstigen Taxis nehmen. Mitfahren kann man in der Innenstadt zum Festpreis von 10 Namibia Dollar , umgerechnet etwa 80 Eurocent. Da man hier pro Person zahlt und nicht nach Taxameter, packen die Fahrer den Wagen meist so voll wie möglich. Das ist erstmal ungewohnt, kann aber sehr unterhaltsam sein. Zum Beispiel, wenn eine Mitfahrerin spontan Getränke verteilt, der Fahrer die Stereoanlage mit afrikanischer Housemusik aufdreht und das Taxi sich so in einen Partybus verwandelt. 


Momente wie dieser spiegeln die positive Lebenseinstellung in Namibia wieder. Hier steigt an der Tankstelle auch mal der komplette (natürlich vollkommen überfüllte) Minibus aus und singt und tanzt. Man lässt sich von den vielen Problemen nicht unterkriegen, sondern improvisiert und versucht die schönen Momente zu genießen. Besonders macht sich das am Oshetu Markt in Windhoeks Township Katatura bemerkbar. Hier kann man neben dem Erwerb von Lebensmitteln und Stoffen unglaublich leckeres „Kapana“ essen. Das sind fettige Rindfleischstreifen, die über Feuer gegrillt werden und mit einem scharfen Gewürz garniert direkt vom Rost gegessen werden. 


Es herrscht ein schönes Miteinander, auch wenn Armut und Rassismus hier so allgegenwärtig sind wie möglicherweise nirgends sonst in Namibia. Das Herero-Wort „Katatura“ bedeutet in etwa „Ort, an dem wir nicht leben möchten“. Das Township wurde 1950 durch die südafrikanische Besatzungsmacht geschaffen, als man die dunkelhäutige Bevölkerung hierher zwangsumsiedelte. Auch nach dem Ende der Apartheid-Politik sind die gesellschaftlichen Probleme größtenteils unverändert. Die meisten der mittlerweile 50.000 Bewohner Kataturas sind aus den ländlichen Regionen Namibias gekommen, um in der Hauptstadt Arbeit zu finden. Dadurch hat sich eine eigene Stadt entwickelt, mit Märkten, (illegalen) Bars, Friseursalons und unglaublich vielen Autowäschen, in denen öfters Luxuskarossen gereinigt werden. Man sollte jedoch als Gast nicht alleine und überall lang laufen, da Weiße hier noch immer nicht von allen gerne gesehen sind.


Die bis zur Unabhängigkeit 1990 bestehende Rassenpolitik hat tiefe Spuren hinterlassen. So gehört ein Großteil der landwirtschaftlichen Fläche noch immer der hellhäutigen Bevölkerung. Mittlerweile müssen Ausländer zur Unternehmensgründung immerhin einen namibischen Geschäftspartner vorweisen, um die Kapitalflucht zu vermindern. Es ist durchaus verständlich, warum man hier als Europäer als reich gilt. Schließlich verdienen manche Namibier nur 1000 N$ (70 €) pro Monat. Auf diese Weise entstehen Geschichten, wie jene, dass der deutsche Staat seinen Bürgern Smartphones und Tablets schenkt. Natürlich entspricht das nicht der Wahrheit, aber ein relativ umfassendes Sozialsystem und eine Fülle von Arbeitnehmer- und Verbraucherverbänden wie in Deutschland sind eben nicht selbstverständlich. Deswegen ist auch nachzuvollziehen, dass unsere Vermieterin von Ausländern höhere Mieten verlangt.


Doch zurück zum Uni-Alltag: Ich besuchte 4 Module an der Polytech. Der Kurs „Environmental Management“ beschäftigte sich mit Umwelt-/Wasser-/Energiemanagement im allgemeinen und speziell angewendet auf die Umstände in Namibia. „Management Practises in the Civil Engineering Industry“ vermittelte Management- und Planungswissen für Ingenieure, jedoch hauptsächlich für Bauingenieure. Der dritte Kurs „Water and Wastewater Reticulation Design and Management“ war sehr technisch und beschäftigte sich mit der Planung der Wasserversorgung. Am eindrucksvollsten war sicherlich der letzte Kurs „Cleaner Production“. Es ging um Grundsätze und Mechanismen für die kontinuierliche Vermeidung von Abfällen jeglicher Art (Müll, Energie, Arbeitszeit etc.) während der Produktion. Eine Fülle von Hausarbeiten, Präsentationen und verschiedenen Kurztests sorgen für ständige Beschäftigung während des Semesters und erinnern damit etwas an Hausaufgaben aus der Schule. Auch die Vorlesungen sind anders als an der h_da. Sie zeichnen sich durch kleine Räume, in höheren Semestern oft sehr kleine Kurse (das Extrembeispiel: 5 Teilnehmer) und eine aktivere Teilhabe über Übungsaufgaben aus, gerade bei den technischen Fächern.


Die Verständigung ist durch Englisch als Amtssprache sehr einfach. Die meisten Einwohner haben jedoch aufgrund der Stammeskultur oder durch ausländische Herkunft eine andere Muttersprache. Zuerst war es deshalb etwas schwer, sich an die verschiedenen Akzente der Professoren und den Slang der Kommilitonen zu gewöhnen. Nach einiger Zeit kann man die verschiedenen Betonungen jedoch verstehen und lernt auch einige Ausdrücke in Afrikaans oder Oshivambo. Der staatliche Rundfunk NBC betreibt Radio- und Fernsehsender in verschiedenen Landes- und Regionalsprachen, sodass man sich auch von Deutschland per Stream einen Eindruck von der Sprachenvielfalt verschaffen kann.


Auch in entlegeneren Regionen des Landes kann man sich gut verständigen, auch weil der Tourismus immer mehr an Bedeutung gewinnt. Mietautos sind leicht und günstig besorgt, wodurch man auf eigene Faust über Schotterpisten die beeindruckend vielfältige Landschaft erkunden kann. So kann man sein Zelt in der Wüste, im Gebirge, an Flüssen oder am Meer aufschlagen. Dabei gilt es immer, auf die ebenfalls ausgeprägte Tierwelt zu achten. Ein fünf Meter neben dem Auto stehender (oder noch kritischer: laufender) Elefant ist deutlich respekteinflößender als im Zoo.


Dieses Auslandssemester in Windhoek schenkte mir eine Fülle eindrücklicher Erlebnisse und wunderbarer Bekanntschaften. Es zeigte mir, dass sich die Bedürfnisse und Wünsche der Studierenden auch in einem so grundverschiedenen Umfeld sehr ähneln und dass man alles im Zusammenhang betrachten muss. Noch immer denke ich sehr oft und gerne (und manchmal wehmütig) an diese Zeit zurück. Deswegen gilt es, meinen Dank an das wunderbare International Office der h_da zu richten, welches -  neben der tadellosen Unterstützung bei der Organisation des Auslandssemesters - für gute Beziehungen zu den Partnerhochschulen sorgt und damit solche Erfahrungen erst ermöglicht.