Entwicklung des Studiengangs
erzählt durch den Dekan des Fachbereichs Wirtschaft, Prof. Dr. Martin Meyer-Renschausen
Entwicklung der Studienangebots vor dem Hintergrund der energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Entwicklung
Der Studiengang Energiewirtschaft blickt auf eine erfolgreiche, aber auch wechselvolle Geschichte zurück.
Gegenwärtig sind rund 452 Studierende im Bachelor-Studiengang Energiewirtschaft immatrikuliert, und 36 im Masterstudiengang. In den zurückliegenden 25 Jahren haben insgesamt 597 Studierende den Studiengang Energiewirtschaft erfolgreich abgeschlossen, mit einer Zertifikats-, Diplom- oder Bachelor-Urkunde.
Der Studiengang ist 1990 als 3-semestriger Aufbaustudiengang gestartet. Zielsetzung des Studiengangs war es, Absolventen natur-, ingenieur- sowie wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge eine energiewirtschaftliche Zusatzqualifikation zu vermitteln.
Ausbildungsziel „Energieeffizienz-Spezialisten“
1990 waren die Märkte für Strom und Gas noch strikt monopolistisch organisiert. Wettbewerb auf Strom- und Gasmärkten, europäischer Energiehandel, Ausstieg aus der Kernenergie oder Vorrang für Erneuerbare Energien waren nicht noch nicht auf der politischen Agenda. Das EEG trat erst im Jahr 2000 in Kraft.
Die Verabschiedung der novellierten Fassungen der Wärmeschutzverordnung von1984 und der Heizungsanlagenverordnung von 1989 zeigte aber den politischen Willen, im Interesse der Ressourcenschonung des Klima- und Immissionsschutzes Energie einzusparen bzw. rationeller zu verwenden.
Ergänzend zu den Initiativen des Bundes in den 80er Jahren auch viele Kommunen das Thema Energieeinsparung und rationellen Energieverwendung auf die Tagesordnung genommen. Sie fingen an, Bürger in Bezug auf Energieeinsparung zu beraten, Energiecontrolling für kommunale Liegenschaften einzuführen, Energiestandards für Neubaugebiete auf Gemeindeland festzulegen oder ihre Stadtwerke zur Förderung energieeffizienter Technologien zu nutzen (Contracting und Least-Cost Planning).
Vor diesem energiewirtschaftlichen und –politischen Hintergrund bestand das Qualifikationsziel des Aufbaustudiengangs vorrangig darin, Energieeffizienz-Spezialisten (Energieberater) für Kommunen und Stadtwerke auszubilden. Im Curriculum schlug sich das in dem hohen Gewicht des „Projekts“ nieder, in dem energetische Sanierungskonzepte für öffentliche Liegenschaften wie Schulen, Gemeindehäuser, Kindergärten etc. erarbeitet wurden. Das Projekt mit 6 bzw. 4 Semesterwochenstunden erstreckte sich über das gesamte Studium.
Da insgesamt nur wenige Kommunen bereit waren, für die Aufgaben Energieeinsparung und des Umwelt- und Klimaschutzes neue Stellen zu schaffen, waren der Arbeitsmarkt für die Absolventen des Aufbaustudiengangs Energiewirtschaft eng. Nicht wenige Absolventen haben nach dem Abschluss des Energiewirtschaft Studiums eine Stelle außerhalb der Energiewirtschaft angenommen. Vor diesem Hintergrund blieben die Aufnahmezahlen für den Aufbaustudiengang in vielen Jahren eher gering (10 -20).
Neuer Schwung durch die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte
Die Lage änderte sich deutlich mit der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte ab 1998. Mit der Einführung des Wettbewerbs im Strom- und Gasmarkt konnten neue Wettbewerber in den Markt eintreten (z.B. Yello) und vorhandene Akteure konnten in die bislang geschützten Regionalmärkte ihrer Mitanbieter eindringen. Unter diesen neuen Bedingungen, die rasch zu fallenden Strompreisen führten, wuchs für die kleinen und großen Energieversorger die Notwendigkeit, ihre Beschaffungsstrategien zu überdenken und ihre Marketingstrategien neu auszurichten, um vorhandene Kunden zu halten und Neukunden zu gewinnen. Waren die Strom- und Gasversorgung vor der Liberalisierung in erster Linie eine technische Aufgabe, so wurden sie mit der Einführung des
Wettbewerbs vorrangig eine wirtschaftliche Herausforderung. Es wurden Befürchtungen geäußert, dass von den bestehenden ca. 900 Stromversorgern letztlich nur ca. 50 im harten Wettbewerb überleben würden.
Die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte brachten frischen Wind in die Energiewirtschaft in Europa, aber auch für den Studiengang Energiewirtschaft. Der Wettbewerb die damit entstehenden Herausforderungen für die Energieversorgungsunternehmen ließen erwarten, dass die Absolventen des Studiengangs Energiewirtschaft künftig auch interessante Arbeitsplätze im Energieeinkauf und –vertrieb finden würden.
Da die Liberalisierung zunächst nur schleppend und auf den Strommarkt konzentriert vonstattenging, war die bereits im Jahr 2001/2 getroffene Entscheidung, den bisherigen Aufbaustudiengang nunmehr in einen grundständigen 8-semestrigen Diplomstudiengang Energiewirtschaft zu überführen, konsequent, aber auch mutig. Die Hochschule Darmstadt besaß 2002 den ersten und einzigen grundständigen Energiewirtschafts-Studiengang. Andere Hochschulen und Universitäten mit energiewirtschaftlicher Ausrichtung beschränkten sich darauf, energiewirtschaftliche Vertiefungsrichtungen in vorhandenen BWL- oder VWL-Studiengängen einzuführen.
Mit dem Übergang zu einem grundständigen Studiengang Energiewirtschaft wurde der Erwerb der notwendigen ingenieurwissenschaftlichen, betriebswirtschaftlichen und juristischen Grundlangen in das Studium selbst integriert. Der Praxisbezug des Studiums wurde durch die Beibehaltung des Energieeffizienz-Projektes sowie durch ein einsemestriges berufspraktisches Semester in der Energiewirtschaft sichergestellt.
Weitere Meilensteine in der Entwicklung des Studiengangs Energiewirtschaft waren die Überführung des 8 semestrigen Diplomstudiengangs in einen 6-semestrigen Bachelor-Studiengangs 2006 (Bologna-Prozess) sowie die Einführung eine 7-semestrigen Studiengangs im Jahr 2011. Die erzwungene Verkürzung des Studiums 2006 warf die Frage auf, wo Kürzungen vorzunehmen sind. Im Ergebnis der Diskussion wurde die bisherige starke Fokussierung des Studiums auf Energieeffizienzaspekte aufgegeben: das Projekt über 3 Semester (insgesamt 16 SWS) wurde aufgegeben.
Die Verlängerung des Studiums auf 7 Semester ab 2011 diente vor allem 3 Zielen:
- Aufnahme neuer Module (Energiedatenmanagement, Unternehmensstrategien in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, Smart Grids, Smart Metering, Smart World)
- Erhöhung der Zahl der Wahlmodule von 2 auf 6
- Schaffung eines „Windows of Mobility“ zur Verbesserung der Möglichkeiten eines Studiums im Ausland.
Die Überarbeitung des Curriculums basierte dabei auf 3 Säulen.
1. Aussprache mit den Studierenden höherer Fachsemester.
2. Auswertung der Erfahrungsberichte im projektbegleitenden Seminar.
3. Auswertung der Ergebnisse der 2010 durchgeführten Absolventenbefragung.
Der 2010 durchgeführten Befragung zufolge waren 45% der Absolventen bei regionalen und überregionalen Strom- und Gasversorgern beschäftigt, 15% in der Planung und im Vertrieb von Anlagen zur erneuerbaren Energieerzeugung und 10% im Bereich Energiemanagement und Energieberatung. Darüber hinaus waren 4% als Consultant für die Strom- und Gasbeschaffung tätig. Die übrigen Antworten verteilen sich auf „Sonstige Tätigkeiten in der Energiewirtschaft“ (15%), Tätigkeiten außerhalb der Energiewirtschaft (5%) und Studium (3%). Fachliche Schwerpunkte waren das Energiedatenmanagement (15%) sowie das Portfoliomanagement (10%).
Die Erhebung hat verdeutlicht, dass die 2006 getroffene Entscheidung, das Thema „Energiemanagement und Energieberatung“ zugunsten von Energiehandel etc. schwächer zu gewichten, richtig war.
Master Energiewirtschaft
Der nächste und vorerst letzte Meilenstein in der Entwicklung des energiewirtschaftlichen Lehrangebotes an der H-DA war der Start des Masters of Science Energiewirtschaft. Er trägt dem Bedürfnis vieler Absolventen nach vertiefenden Kenntnissen in speziellen Bereichen der Energiewirtschaft Rechnung, etwa im Projektmanagement von dezentralen Energieanlagen, Risikomanagement und Modellierung in der Energiewirtschaft. Er bietet zudem sie Möglichkeiten, aktuelle Fragen und Herausforderungen der Energiewende zu thematisieren (Dezentralisierung, Netzintegration von erneuerbaren Energien etc.). Der Master Energiewirtschaft ist im Sommersemester 2015 gestartet und nimmt im Jahr 30-40 Studierende auf. Derzeit verteilen sich die Studierenden des Masterstudiengangs zu etwa gleichen Teilen auf Absolventen des Bsc Energiewirtschaft und Absolventen ähnlicher Studiengänge an anderen Hochschulen.
Mit der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte, der verstärkten Förderung der erneuerbaren Energien und der Energiewende hat sich die Zahl energiewirtschaftlicher Studienangebote an deutschen Hochschulen vervielfacht. An vielen Hochschulen werden mittlerweile spezielle Studiengänge für erneuerbare Energien angeboten, z.T. spezialisiert auf einzelne Energieträger wie Wind- oder Solarenergie. Das energiewirtschaftliche Studienangebot der H-DA, das 14 Jahre zuvor noch als eine gewagt Spezialisierung erschien, mutet unter diesen Bedingungen eher breit an. Die guten Beschäftigungsaussichten der Absolventen und die vergleichsweise hohen Einstiegsgehälter zwischen 40T€ und 60T€/a zeigen, dass die vergleichsweise breite Ausrichtung des Curriculums den Anforderungen der Praxis Rechnung trägt.